Coffee & Cigarettes

Rita Marley
Leben mit
einer Ikone

feder

„Wenn du deine Wurzeln in Afrika hast, dann wird aus dem Weinen Gesang.“

Rita Marley, in Begleitung zweier Freundinnen und in afrikanische Gewänder gehüllt, ist eine imposante Erscheinung. Es ergibt sich ein persönliches Gespräch über ihr Leben an der Seite Bob Marleys, die musikalischen Anfänge in Kingston sowie ihr auf den ersten Blick widersprüchliches Selbstverständnis als emanzipierte Frau.  

Rubrik
Coffee & Cigarettes

Date
25. Mai 2005

Ort
Westin Grand Hotel Berlin

Erschienen in
GALORE 02/2005

Fotos
Erik Weiss ➔

Mrs. Marley, Sie haben die Wahl: Worauf würden Sie unser Gespräch gerne fokussieren – auf Ihr eigenes Leben oder eher das Ihres Mannes, der verstorbenen Reggae-Ikone Bob Marley?

Wie meinen Sie das? Übrigens ist Bob in meinen Augen nicht tot. Er lebt fort. In dem Moment, wo Sie sagen, er sei tot, tragen Sie Ihren Teil dazu bei. Verstehen Sie?

 

Ich frage Sie deshalb, weil Ihre Leben und das Ihres Mannes so unseparierbar miteinander verwoben scheinen.

(lacht) Da haben Sie allerdings Recht. Das kann man nicht trennen, und es wäre auch ein Fehler.

Rita Marley

Die jamaikanische Reggaemusikerin Alpharita Constantia Marley Anderson, besser bekannt als Rita Marley im Interview mit Patrick Großmann.

Als Sie in den Sechzigern anfingen, Musik zu veröffentlichen, schien nahezu das gesamte Viertel Trench Town in irgendeiner Weise mit Reggae zu tun gehabt zu haben. Woran lag das?

Am Schmerz. Bob hat das einmal sehr schön formuliert: Wenn du deine Wurzeln in Afrika hast, dann wird aus dem Weinen Gesang. Du weinst, wenn du auf die Welt kommst, und du weinst, wenn du versklavt wirst. Dann fängst du an zu singen, damit du die harte Arbeit auf den Zuckerrohr-Plantagen überlebst. Alle haben gesungen damals; zumindest die, die kein Geld hatten. Schwarze Menschen zeigen ihre Emotionen auf eine andere Art. Das ist ihnen gewissermaßen in die soziale Wiege gelegt worden. Sonst gäbe es weder Soul noch Blues noch Reggae.

 

Sie meinen, man kann das als Weißer nicht lernen?

Nein, so weit würde ich nicht gehen. Es ist ein anderer Lebensstil. Natürlich gibt es Weiße, die hart gelitten haben in ihrem Leben, aber meist drücken die ihren Schmerz anders aus, finden ein anderes Ventil. Sie kämpfen einen anderen Kampf.

 

Die Musik hat Sie jedenfalls aus einem Dasein in Armut befreit. Dabei hatten Sie einen regulären Beruf, bevor alles losging: Sie waren Krankenschwester.

Ach, das war eher ein Hobby für mich. Es hatte nie auch nur annähernd denselben Stellenwert. Ich wollte Krankenschwester werden, schon als kleines Kind, das stimmt. Aber Sängerin – das war ich von Geburt an! Die Musik hat sich durchgesetzt, zusammen mit Bob.

„Doch dann platzte plötzlich Bob durch die Tür und entschied das Rennen für sich.“

Passend für eine Beziehung, die zeitweilig einzig die Liebe zur Musik noch zusammenhielt.

Zeitweilig? Unsere Beziehung hat als musikalisches Projekt begonnen, und genauso hat sie auch geendet. Das war nicht die übliche ‚Liebe auf den ersten Blick’-Nummer. Ich war eine ganze Weile der Überzeugung, früher oder später Peter Tosh zu heiraten. Groß, dunkel, charmant – ein toller Bursche war das. Doch dann platzte plötzlich Bob durch die Tür und entschied das Rennen für sich. (lacht)

 

Gleichwohl gab es eine Phase, in der Sie unsterblich ineinander verliebt waren. Jedenfalls schreiben Sie das in Ihrem Buch „No Woman, No Cry“. (1)

Ja, ehe ich mich versah, begann ich für den schüchternen Robbie zu schwärmen. So nannten wir ihn in jenen Tagen. Er war so… warmherzig. Weich. Erst wurde er mein musikalischer Lehrer, dann eroberte er mein Herz.

Rita Marley No Women, No Cry

Pünktlich zu Bob Marleys 60. Geburtstag erzählt uns dessen Ehefrau ihre eigene Sicht der Dinge: die Geschichte einer willenstarken Überlebenskünstlerin an der Seite eines genialen, aber auch oft rüden Machos. Marleys öffentliches Bild als Reggae-Gutmensch jedenfalls steht seither in verändertem Licht da. „Eigentlich“, so Marley, „hatte ich gar nicht vor, solch ein Buch zu veröffentlichen. Doch dann fragten mich immer mehr Menschen nach meiner spezifischen Sicht der Dinge. Also habe ich meine Erinnerungen einer befreundeten Autorin erzählt.“ Herausgekommen ist ein Buch, das zwar recht naiv geschrieben ist, diesen vermeintlichen Makel aber durch seine vielfarbige Lebendigkeit wettmacht.

Stimmt es, dass Bob Marley ein absoluter Perfektionist war, wenn es ums Musikmachen ging? Es heißt, er sei extrem akribisch gewesen.

Oh ja! Wenn während der Proben oder bei Aufnahmen ein Take mal nicht perfekt saß, konnte er richtig zornig werden. Es kam durchaus vor, dass man den ganzen Tag an einer einzigen Strophe feilte. Wir wachten auf, frühstückten ein bisschen Porridge, gingen runter ins Studio und blieben dort bis neun Uhr abends. Nur, um am nächsten Morgen zu erfahren, dass irgendeine Kleinigkeit in seinen Ohren falsch klang und wir den Song noch mal neu einsingen mussten. Bob war da unglaublich strikt.

 

Ich glaube, dass das eine Menge Leute nicht wirklich würdigen: dass Reggae – allen Joints zum Trotz – extrem davon abhängt, exakt auf den Punkt gespielt zu werden.

Jedenfalls war das früher mal so. Heute nehmen das viele Musiker nicht mehr so genau, und ich finde das merkt man auch. Du konntest damals nicht breit im Studio einlaufen, „Jabadabadu!“ singen, und alles grinste zufrieden. Wir haben oft tagelang geprobt für einen einzigen Song! Wir waren enorm diszipliniert: Geraucht wurde vor und nach der Arbeit – nie währenddessen.

 

Apropos: Sie selbst haben mit „One Draw“ mal einen Song geschrieben, der sich anhört wie eine Anleitung zum Kiffen. Ist er das?

Nein, nicht wirklich. (lacht) Zumindest ist Cannabis für uns Rastafari keine Droge im üblichen Sinne. Wir sehen diese Kräuter als heiliges Sakrament, und demnach ist der Song religiös gemeint. Schon in der Bibel heißt es, sie seien das Heilmittel der Nation Gottes. Es ist wie mit allen guten Dingen: Übertreibt man es, bewirken sie das Gegenteil. Das trifft auf jede Medizin zu.

 

Rauchen Sie persönlich noch?

(grinst) Ab und zu ein bisschen, um zu entspannen. Aber längst nicht so viel wie früher.

 

Erzählen Sie mir über das erste Mal, als Sie Marley singen hörten. Wie haben Sie das empfunden?

Oh, Bob hat mich verrückt gemacht! Nicht nur, wenn er sang. Er hat eigentlich allen weiblichen Teenagern des Viertels den Kopf verdreht. Jeden Tag liefen die Wailers durch unsere Straße und an unserem Vorgarten vorbei, um zum Studio zu gelangen – und alle standen wir Spalier. Wenn sie uns nicht beachteten, tratschten wir hinterher darüber, wie arrogant die drei doch seien. (lacht) Bob kam aus dem wirklich finsteren Teil von Trench Town, während wir in einer etwas besseren Gegend wohnten.

 

Erinnern Sie sich an den Zeitpunkt, an dem Sie persönlich das Gefühl hatten, dass etwas Großes geschehen würde?

Das hat sich schon ziemlich früh angedeutet. Ich sagte ihm das auch ein paar Mal, aber er bestand stets darauf, ein ganz normaler Junge zu sein. Als er dann später anfing, mit all diesen weißen Mädchen rumzumachen, schien er das allerdings.

1967

Wail’N Soul’M’

Wail ’n Soul’m – eine Abkürzung für „WAILers aNd SOULettes Music“ – wurde 1967 von Bob und Rita Marley gegründet.

Ich meine das auch persönlich. Sie waren mit einer Ikone verheiratet – und damit wurden Sie zu einem Stück abhängig von deren Streben.

Nein, das sehe ich nicht ganz so. Der Ruhm und der Starrummel kamen lange nachdem wir bereits unsere Querelen hatten. Das hatte nicht viel miteinander zu tun. Es begann schon, als wir im Ghetto von Trench Town um unsere nächste Mahlzeit kämpften und darum, dass uns das Radio spielte. 1967 gründeten wir unser eigenes Label ‚Wail’N Soul’M’. In gewisser Hinsicht war das eine Testphase für alles, was unsere Leben später bestimmen sollte.

 

Die Erinnerungen an diese Phase Ihres Lebens, wo Sie Ihre Platten vom Fahrrad herab oder aus dem Hof heraus verkauft haben, schildern Sie im Buch sehr lebendig.

Es klingt ja auch kurios, nicht? Tagsüber war das Zimmerfenster zur Straße hin unser Laden, nachts verwendeten wir den Raum als Schlafzimmer. Rollladen runter, Bett ausgeklappt – fertig. (lacht) Und wir waren verdammt glücklich damit, glauben Sie mir. Wir kannten ja auch nichts anderes. Die Probleme fangen meist erst damit an, dass die Leute andere Vergleichsmöglichkeiten bekommen. Dann beginnen sie, gierig zu werden.

 

Mit anderen Worten: sobald der Erfolg einsetzt.

Genau. Obwohl das mit unserer Beziehung wenig zu tun hatte. Die war Privatsache und wurde zumindest die erste Zeit über auch so behandelt. Egal, was die Öffentlichkeit von uns verlangte: Wir zogen es vor, wir selbst zu bleiben. Obwohl das manchmal schwierig war – etwa, wenn wir uns kurz vor einer Show heftig gestritten hatten. Dann gehst du raus auf die Bühne und musst gute Miene zum bösen Spiel machen, so tun, als sei alles in Butter. Darin bin ich nicht so gut.

 

Was, würden Sie sagen, hat Ihren Mann am Ende verändert, sein Ego aufgebläht: das viele Geld oder der Ruhm?

Keines von beiden. Es waren vielmehr die Menschen um ihn herum. Mit Geld konnte Bob nie umgehen, es war ihm schlicht egal. Die Finanzen waren stets meine Domäne. Alles, was er wollte, war, auf die Bühne zu gehen und seine Message zu verkünden. Ich war gut darin, Geld auszugeben. Aber bevor Sie jetzt auf dumme Gedanken kommen: immer für einen guten Zweck. Schulen und Kliniken in Afrika, Stiftungen, Adoptivkinder. Alleine in Äthiopien unterstütze ich derzeit 34 davon. Das alles bedeutet mir mehr als das Geld selbst…

 

…während er seines lieber in Fußballschuhen und Rauchwaren anlegte.

Und Frauen! Vergessen Sie die Frauen nicht. (lacht)

 

Dazu kommen wir gleich. Nach seinem Tod wollten das einige Menschen anders sehen. Sie wurden sogar verklagt, weil es hieß, Sie hätten sich unrechtmäßig an Marleys Erbe vergriffen.

(schnauft) Ach, lassen Sie die Leute reden. Das alles interessiert mich nicht, weil ich weiß, wie hart ich für all das gearbeitet und gekämpft habe. Das hat mir keiner auf einem Silbertablett serviert. Ich verdiene das.

„Ich musste hin und her schalten von der Sängerin und Angestellten zur Ehefrau und Mutter. Nach der Show war es nicht selten mein Job, die jungen Dinger, die mit ihm schliefen, aus seiner Garderobe zu jagen.“

Stimmt eigentlich die Geschichte, dass der Manager der Wailers Sie beide dazu verpflichtet hat, in der Öffentlichkeit so zu tun, als seien Sie nicht verheiratet?

Das ist eben die Philosophie der Plattenfirmen. So ticken diese Menschen. Es war ein Problem, das ich alleine mit mir selbst auszutragen hatte. Natürlich kommt man sich dabei vernachlässigt und auf die Seite gedrängt vor. Ständig musste ich hin und her schalten von der Backup-Sängerin und Angestellten zur Ehefrau und Mutter. Nach der Show war es nicht selten mein Job, die jungen Dinger, die mit ihm schliefen, aus seiner Garderobe zu jagen, damit Bob seinen Schlaf bekam. Du läufst da rein… und auf seinem Schoß sitzt ein halbnacktes Mädchen! Und alles, was ihm dazu einfällt, ist: „What’s going on, Rita? Sie macht doch nur ein Interview mit mir!“ Einmal behauptete er tatsächlich, sie hätten gemeinsam in der Bibel gelesen. (lacht)

 

Sie müssen das alles doch gehasst haben.

Ich bin mir nicht sicher. Hass ist ein starkes Wort, wissen Sie. Sagen wir, ich missbilligte diese Seite meines Mannes, die mir sehr weh getan hat. Ich wünschte, sie wäre nicht derart präsent gewesen. Dauernd war ich mit diesem Mist aus nächster Nähe konfrontiert. Letztlich jedoch war mir der Frieden wichtiger. Ich ging dann meist auf mein Zimmer, rief meine Kinder an und sprach mit ihnen darüber. Es wussten ja alle. Sie rieten mir, ihn zu vergessen. Leicht gesagt.

 

Sehen Sie das heute eher als Schwäche oder als Stärke – dieses großmütige Dulden seiner Verfehlungen als Ehemann?

Gott hat mir diese Stärke gegeben. Ich weiß, Männer können meine Haltung in diesem Punkt noch schlechter nachvollziehen als Frauen. Aber auch die fragten mich oft: „Wie hältst du das alles bloß aus? Ich an deiner Stelle wäre schon längst abgehauen!“ In meinen Augen bestand unsere Beziehung einfach aus viel mehr als dieser Konstruktion ‚Ehe’. Sicher, wir waren Mann und Frau, gleichzeitig jedoch waren wir wie ein Komplementärkontrast, der sich gegenseitig bedingte.

 

Meinen Sie, Bob Marleys Karriere wäre ohne Ihre Hilfe überhaupt möglich gewesen?

(überlegt lange) Vielleicht in anderer Form. Ich hatte schon das Gefühl, dass ich sehr gebraucht wurde. Und natürlich kümmerte ich mich um unsere Kinder, was Bob viele Türen offen hielt. Männer neigen dazu, diese Arbeit zu vergessen. Wenn wir auf Tour waren, bewohnten wir stets getrennte Hotelzimmer. Dann war ich zuerst und vor allem Musikerin. Wenn ich mich diese ganze Zeit als Mrs. Marley gefühlt hätte – wir wären ohne Pause aneinandergerasselt, hätten andauernd Kämpfe ausgefochten wegen seiner Eskapaden. (knurrt)

 

Haben Sie generell viel gestritten?

Oh, nicht zu knapp. Und zwar nicht bloß verbal. Ich habe mich gewehrt und sein Gesicht zerkratzt – und was fällt Bob dazu ein? „Du hast mich entstellt, Rita! Wie soll ich denn jetzt vor die Leute treten?“ – „Dann schlag mich halt nicht!“ (lacht) So war das damals.

 

Trotz allem bezeichnen Sie Marley auf Ihrer Website wörtlich als „Heiligen“: „Als ich Bobs Leben betrachtete, wusste ich, dass er mehr war als ein normaler Mensch. Er war einer von denen, die nur alle 2000 Jahre erscheinen.“ Meinen Sie das ernst, oder darf ich das eher als Metapher verstehen?

Bob war etwas ganz Besonderes, persönlich wie musikalisch. Ein Prophet. Er war echt; er hat uns alle inspiriert. Für seine Mission habe ich ihn zutiefst geliebt und respektiert und tue das bis heute. Deshalb habe ich mich auch nie von ihm getrennt. Das alles war so viel mehr als Musik, es hatte beinahe etwas Religiöses an sich. Die meisten Leute haben diese Seite von Bob nie verstanden. Für die war er immer nur der „zweitsexieste Mann der Welt“, um den ‚Rolling Stone’ zu zitieren. Ein Jammer, dass ich davon nie etwas mitbekommen habe. (lacht)

 

Wenn man Ihre Autobiografie liest, fällt einem eines immer wieder auf: wie widersprüchlich dieser Mann gewesen sein muss. Er hatte ebenso viel von einem Sünder und rüden Macho wie er ein liebender Vater, geistlicher Führer und guter Freund war.

Stimmt. Nur: Trifft das nicht auf nahezu jeden Menschen zu? Es war mir wichtig zu zeigen, dass Bob ein ganz normaler Mann war; mit allen dazugehörigen Schwächen. Männer sind nun einmal hinter fremden Röcken her. Da war er weder der erste, noch wird er der letzte sein. Ich kann ihn dafür nicht mehr ernsthaft verurteilen.

 

Seltsamerweise hat er Ihnen als Frau dasselbe Recht nicht zugebilligt.

Sind Sie verrückt? Bob war einer der eifersüchtigsten Männer, die je diesen Planeten bevölkert haben! Auch das ist sicher ungerecht, aber ebenfalls zutiefst menschlich. Ich habe ihm oft gesagt, dass ich mit seinen Eskapaden nicht ewig werde leben können. Anstatt mich allerdings bis aufs Messer mit ihm anzulegen, entschied ich mich dafür, mein Leben und das unserer Kinder so weit möglich von seinem abzugrenzen. Deshalb zogen wir raus nach Bull Bay, während sich Bob und seine Mätressen und Kumpels in der Hope Road austobten. Es passierte einfach zu viel Mist dort.

 

Irgendwann hatten Sie dann doch noch den Mut, sich zu emanzipieren was Ihr Liebesleben betraf. Es gab da einen Nachbarn namens Tacky, der Ihnen sehr ans Herz wuchs.

Ja, Jamaikas Top-Fußballer in diesen Tagen. Ein toller Mann. Ich musste diesen Schritt gehen – und zwar nicht um ihm oder irgendwem sonst etwas zu beweisen, sondern weil es sich einfach natürlich angefühlt hat. Richtig in jeder Hinsicht. Bob hatte gerade mal wieder eine seiner üblichen Affären, diesmal mit Esther Anderson, einer Schauspielerin. Tacky sah das und meinte nur: „Das ist nicht fair. Er behandelt dich schlecht, Rita.“ Bob ging die Wände hoch, als er davon erfuhr. Er hat die Sache Zeit seines Lebens heruntergespielt. Dabei haben wir sogar ein gemeinsames Kind, Sarita.

Stimmt es wirklich, dass Sie die unehelichen Kinder Ihres Mannes aufnahmen und großzogen?

Ja, und sie alle sind wie mein eigenes Blut; sie nennen mich sogar Mami. Ich habe das getan, weil ich ihn trotz allem, was er falsch gemacht hat, unglaublich liebe. Weil unsere Liebe die Grenzen dessen, was Mann und Frau normalerweise teilen, sprengt. Er brachte all diese kleinen Würmer zu mir, und ich nahm sie an.

 

Was war mit den biologischen Müttern?

Ach, die hatten nichts zu sagen. Er war der Mann – und sie wollten bestimmt keine Kinder. Sie wollten ihn!

 

Wie viele Kinder hatte er am Ende?

(mit Nachdruck) Wir haben elf. Ich kenne alle und unterstütze sie, wo ich kann.

 

Woher wollen Sie wissen, ob es nicht noch weitaus mehr sind?

(lacht) In der Tat gibt es immer wieder mal eine Frau, die angibt, ihr Kind sei von Bob. Manche davon sind sogar älter als er, total verrückt. Letztes Jahr zum Beispiel war ich in Äthiopien, und ein Junge kam im Hotel vorbei. Er sagte, er sei sein Sohn, aber ich bin mir sicher, dass er log. Ich sehe das auf den ersten Blick.

 

Am Ende starb Ihr Mann an einer nicht rechtzeitig behandelten Fußballverletzung. Es hört sich sehr seltsam an, dass aus etwas derart Profanem ein tödlicher Hautkrebs geworden sein soll.

Bob hat die Sache einfach nicht ernst genommen. Letzten Endes hat ihn das weiße Blut seines Vaters umgebracht. Die Ärzte in London meinten, nur deshalb habe es soweit kommen können. Sein Blut war zu… gemischt? Es hatte irgendwas mit den Blutzellen zu tun, die sich nicht miteinander vertrugen.

 

Wo wir gerade bei Hautfarben sind: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie ein deutsches, weißes Kid aus der Mittelklasse mit Dreadlocks sehen?

Dass es wahrscheinlich eine Modeerscheinung ist. Etwas, das vergeht. Ich missbillige das nicht, nehme es aber auch nicht allzu ernst. Natürlich gibt es auch Weiße, bei denen mehr dahinter steckt, die Rastafarismus (2) studieren. Ein Rastafari hat weder Hautfarbe, noch Klasse. Wenn Sie so fühlen und Ihnen das Befriedigung verschafft, ist alles okay. Es ist etwas Göttliches.

 

Vermögen Sie in ein paar Worte zu fassen, was das ist: Rastafarismus?

Das Leben. Die Liebe. Und die Feier von beidem.

„Trench Town gleicht heute einem verdammten Kriegsgebiet. Wenn Sie damit konfrontiert sind, dass Sechsjährige in der Schule davon singen, wie man als cooler Kerl Frauen vergewaltigt, dann kann Ihnen schon schlecht werden.“

Was halten Sie von der aktuellen jamaikanischen Szene? Ist sie noch immer so lebendig wie damals?

Lebendig schon, aber eher auf eine kriminelle Weise. Die Dancehall-Szene hat ein Monster erschaffen. Dauernd passieren Morde. Ich habe das Gefühl, dass die jungen Musiker zu viel amerikanisches Fernsehen schauen, und dann versuchen sie nachzustellen, was sie in irgendwelchen HipHop-Clips aufgeschnappt haben. Trench Town gleicht heute einem verdammten Kriegsgebiet. Mehr als Respektlosigkeit und Frauenverachtung haben die meisten dieser Typen nicht zu bieten. Absoluter Machismo. Wenn Sie damit konfrontiert sind, dass Sechsjährige in der Schule davon singen, wie man als cooler Kerl Frauen vergewaltigt, dann kann Ihnen schon schlecht werden.

Zur Person

Rita Marley

Rita Marley

Jamaikanische Reggaemusikerin

Alpharita Constantia Marley Anderson, besser bekannt als Rita Marley, kam am 25.07.1946 in Kingstons Armenviertel Trench Town, Jamaika, zur Welt. Während sie international vor allem als Frau der Reggae-Legende Bob Marley Bekanntheit erlangte, war sie in ihrer Heimat bereits in den 60ern als Sängerin ein Begriff. Später bildete sie mit Judy Mowatt und Marcia Griffiths für die Wailers das  Background-Gesangstrio The I-Threes. Seit dem Krebstod ihres Mannes im Mai 1981 verwaltet die Mutter von fünf leiblichen und Dutzenden von Adoptivkindern dessen Nachlass und betätigt sich weiterhin als Musikerin. Rita Marley lebt vornehmlich in Ghana, wo sie eine gemeinnützige Stiftung leitet.

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Rocket ArtikelStanislaw Lem Beitrag